Soy in the Anthropocene

Organisatoren
Kommission für Interdisziplinäre Ökologische Studien (KIÖS), Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Wien
Ort
Wien
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.11.2021 - 03.11.2021
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Von
Maximilian Martsch, Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, St. Pölten, Österreich

VOLKER HAHN (Hohenheim) leitete das erste Panel mit einem Vortrag über die weltweite Ausbreitung der Sojabohne aus der Perspektive der Pflanzenzucht ein. Verschiedene Sorten der Sojabohne breiteten sich zuerst in Ostasien aus, bevor sie im 18. Jahrhundert durch Forschungs- und Handelsexpeditionen auch in den Westen gelangte. Als wichtige Proteinquelle erlangte die Sojapflanze im Zweiten Weltkrieg insbesondere in den USA Bedeutung. Hier wurden 1940 das erste Mal Hybridisierungsversuche durchgeführt, um neue Züchtungen mit gewünschten Eigenschaften zu kreieren. Damit wurde die Basis des modernen Sojastaatguts gelegt. Die durchschnittlichen Hektarerträge neuer Sojasorten sind heutzutage fast fünf Mal so hoch wie vor 100 Jahren. Dazu weisen die meisten modernen Sorten eine Resistenz gegenüber handelsüblichen Herbiziden und Pestiziden auf. Durch gezielte Genmanipulation wurden immer leistungsfähigere und spezialisiertere Züchtungen geschaffen. Neue Techniken und Methoden verkürzen zudem die Laborzeit und ermöglichen die Anpassung der Zuchtpflanzen an klimatische Veränderungen und Marktpräferenzen. Anhand verschiedener Länderbeispiele wie China, Indien und Brasilien zeigte Hahn Chancen zur Weiterentwicklung, aber zugleich bestehende Probleme auf.

Im zweiten Vortag präsentierte INES PRODÖHL (Bergen) einen Abriss der Anfänge der Kommodifizierung von Soja in Europa. Der Import von Sojabohnen setzte in Europa im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ein. Angetrieben wurde er von einer steigenden Nachfrage der Industrie nach Fett, dass beispielweise in der Produktion von Margarine, Seife und Farbstoffen gebraucht wurde. Das japanische Handelsunternehmen Mitsui & Co. entwickelte sich zum wichtigsten Exporteur von Sojabohnen. Das Unternehmen dominierte den Handel mit Sojabohnen aus der Mandschurei und war ein wichtiger Bestandteil des japanischen Imperialismus in der Region nach dem Sieg gegen Russland 1905. Der Anbau und Export von Sojabohnen in der Mandschurei war das ökonomische Rückgrat der Region. Durch den Ausbau der Transportinfrastruktur und der Kommunikationswege konnte Soja im großen Stil nach Europa verfrachtet werden, wo die Bohne die Fettlücke in der Industrie schließen konnte. Diese Entwicklung, so argumentierte Prodöhl, war die Initialzündung für Soja als globale Handelsware.

MAXIMILIAN MARTSCH (St. Pölten) sprach über die Wissensgeschichte und den sich wandelnden Diskurs über Soja in der Habsburgermonarchie vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Er argumentierte, dass die Sojabohne ein geeignetes Prisma für die Erforschung von Innovationsprozessen in der Landwirtschaft sei. In Österreich-Ungarn wurde Soja zuerst im Zuge der Forschungen Friedrich Haberlandts in den 1870er-Jahren in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit diskutiert. Nach dem frühen Tod Haberlandts kam diese Forschung und damit auch der Diskurs zum Erliegen. Mit den Pflanzenölkrisen in der Industrie am Anfang des 20. Jahrhunderts und dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurden auch verschiedene Anwendungsmöglichkeiten von Soja wieder in den Medien diskutiert. Es ging zum einen um erste Kommerzialisierungsversuche, aber auch um den Einsatz von Sojabohnen als Krisennahrung. Die Ergebnisse blieben hinter den Erwartungen zurück, und Soja verschwand wieder aus dem öffentlichen Interesse. Martsch schlussfolgerte, dass Soja als Innovation noch nicht aus dem Experimentalstatus ausbrechen konnte, weil die richtigen Rahmenbedingungen und Netzwerke dazu fehlten.

Im zweiten Panel ging es um die weltweite Ausbreitung von Soja im Laufe des 20. Jahrhunderts. MATTHEW ROTH (Philadelphia, PA) rekonstruierte die zentralen Momente des Aufstiegs von Soja in den USA. Noch in den 1920er-Jahren wurde Soja dort hauptsächlich für Heu angebaut und daraufhin auch als Ölpflanze verwendet. Bis zum Zweiten Weltkrieg konnte sich Soja allerdings nicht komplett durchsetzen. Erst im Laufe des Krieges konnte sich die Pflanze aufgrund der Fett- und Proteinknappheit etablieren. Während die Ölgewinnung lange Zeit im Vordergrund stand, kam nach dem Krieg durch den wachsenden Fleischkonsum der Umschwung zum Futtermittel. Der Aufstieg von Soja als cash crop ging in den USA der Nachkriegszeit Hand in Hand mit dem Aufstieg der Massentierhaltung, allen voran der Geflügelzucht. Die Speiseölproduktion hinkte lange Zeit hinterher, da man erst später darauf kam, die Omega-3-Fettsäuren zu extrahieren, um den Geschmack und die Haltbarkeit von Sojaöl zu verbessern. Das US-Exportembargo auf Sojabohnen von 1973 rief neue globale Player wie Brasilien auf den Plan. Der steigende Fleischverbrauch in China führt neuerdings zu einer gesteigerten Nachfrage an genmodifizierten Sojabohnen für die Massentierhaltung. In den USA wie auch in anderen Ländern nimmt im Zuge der Klimadebatte auch die Nachfrage nach „non-GMO“-Sojabohnen für den menschlichen Konsum zu.

RICHA KUMAR (Delhi) richtete das Schlaglicht auf Indien und zeichnete ein ambivalentes Bild von Soja zwischen Nutzen und Kritik. Sojabohnen wurden in Indien in den 1960er-Jahren aus den USA eingeführt und als cash crop zur Erzeugung von Futtermittel gefördert. Indien exportierte Sojabohnen für die Tiermast, während die heimische Bevölkerung Hunger litt. Erst zu Anfang des 21. Jahrhunderts gewann die inländische Verwertung von Sojabohnen aufgrund der wachsenden Fleischnachfrage an Bedeutung. Nun wurde auch GMO-Soja für die inländische Fleischindustrie importiert. Anders als in den USA und Brasilien findet der Anbau von Sojabohnen in Indien noch unter hohem Arbeitseinsatz statt, was auch viele Kleinbauern von der Bohne abhängig macht. Die Verbreitung von Monokulturen und der hohe Wasserbedarf haben zu einer Degradierung von Agrarland geführt, was gleichzeitig soziale Probleme für die Landbevölkerung mit sich zog. Des weiteren führt die Verbreitung von billig produziertem Sojaöl zu einer Abnahme der regionalen Vielfältigkeit von Speiseölen. Der Vormarsch von Soja in Indien kann demnach zu einer Verbesserung der Ernährungssituation führen, stellt aber gleichzeitig eine Bedrohung für ländliche Lebenswelten und die kulinarische Vielfalt des Landes dar.

ERNST LANGTHALER (Linz) sprach über die Verschiebung globaler Handelsströme während der „great acceleration“. Er identifizierte zwei Phasen, in denen der globale Sojahandel in die Höhe schoss: in der Nachkriegszeit und wiederum seit der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Die erste Phase der globalen Sojaexpansion war mit der Etablierung des US-dominierten Nahrungsregimes nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden. Die USA kontrollierten in dieser Zeit den Weltmarkt für Soja und nutzten diese Dominanz als geopolitisches Machtmittel für ihr Entwicklungsprogramm. In der 1980er-Jahren geriet das US-System zunehmend unter den Druck anderer Konkurrenten. In dieser Phase der Entschleunigung konnte sich Brasilien als neuer Player etablieren. Brasiliens Bedeutung als globaler Exporteur von Sojabohnen wurde durch die steigende Nachfrage Chinas seit der Jahrtausendwende zusätzlich gestärkt. China wurde nun zum weltweit führenden Importeur von Sojabohnen, wodurch sich das Zentrum des globalen Sojanetzwerkes endgültig von Norden nach Süden verlagerte. Neben den ökonomischen Verlagerungen brachte diese zweite „great acceleration“ eine Vielzahl ökologischer Probleme in den Anbauländern mit sich. Anhand von Handelsstatistiken stellte Langthaler verschiedene Schlüsselbeziehungen und Knotenpunkte innerhalb des Sojanetzwerkes dar, darunter die Niederlande als wichtigsten Importhafen der EU.

Das letzte Panel beschäftigte sich mit der wachsenden Bedeutung des Sojaanbaus in Südamerika und China. CLAITON MARCIO DA SILVA (Chapecó) nahm die aktuellen Skandale um den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro zum Aufhänger, um auf die sozioökonomischen Folgen des großflächigen Sojaanbaus in Brasilien aufmerksam zu machen. Er argumentierte, dass wir uns im Zeitalter des “Soyacene“ befinden, denn der Anbau und der weltweite Handel von Soja haben mittlerweile weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklungen in zahlreichen Ländern. In Brasilien, einem der größten Anbauländer von Soja, sind die dramatischen ökologischen und sozialen Auswirkungen gut zu erkennen. Die Anbaufläche in Brasilien ist mittlerweile elfmal so groß wie Belgien, rund 90 Prozent davon ist GMO-Soja. Die verwendete Menge an Glyphosat ist 5.000 Mal höher als in ganz Europa. Dies ist eine enorme Belastung für das Ökosystem und den Lebensraum der ansässigen Landbevölkerung. Intensive Anbaugebiete weisen eine hohe Grundwasserbelastung auf, dazu kommen Probleme wie Bodenerosion und Bodendegradierung durch den hohen Einsatz von Chemikalien. Der industrielle Anbau von Sojabohnen in Brasilien ist ökologisch und sozial nicht nachhaltig und wird auf dem Rücken der armen Landbevölkerung ausgetragen. Autoritäre politische Systeme tragen dieses System der ökologischen und sozialen Ausbeutung, aber es mehren sich die Zeichen für ein Umdenken und Widerstand.

MATILDA BARAIBAR NORBERG (Stockholm) sprach über die Einbindung von Argentinien, Paraguay und Uruguay in das globale Sojanetzwerk. Auch in diesen Ländern brachte das Zeitalter des „Soyacene“ (Sojizacíon) große Veränderungen mit sich. Vor allem führte es zu einer Veränderung der Landnutzung und der Nachfrage nach Land. Das Resultat war die Durchsetzung von kapital- und technikintensiven Bewirtschaftungsmethoden, die erst durch „economies of scale“ profitabel wirtschaften können. Der Druck des Großkapitals hat sich negativ auf den Landzugang und die Lebenssituation indigener Bevölkerungsgruppen ausgewirkt und damit ein soziales Spannungsfeld aufgebaut. Sojizacíon ist eine unzivilisierte Ausprägung des neoliberalen Nahrungssystems, in dem vor allem der Staat ein zentraler Akteur ist. Durch Regulation und Kontrolle kann er Handlungsmacht über Nutzung und Zugang zu Land ausüben und damit auch soziale Missstände herbeiführen oder korrigieren. Es geht darum, in der Forschung und in der Politik eine Balance zwischen dem Einfluss und den Interessen global agierender Player und dem Staat zu finden. Argentinien, Paraguay und Uruguay sind interessante Fallbeispiele, um genau dieses Kräftespiel genauer zu untersuchen und in einen historischen Kontext zu stellen.

BRIAN LANDER (Providence, RI) untersuchte den Werdegang von Soja in China von einer unkrautartigen Wildpflanze zu einer globalen Handelsware. In Asien haben Sojaprodukte eine lange Tradition, erste Quellennennungen gehen über 2.000 Jahre zurück. Zeichnungen aus dem 17. Jahrhundert geben Aufschluss über Techniken für die Herstellung von Tofu. Jedoch wandelte sich der kleinbäuerliche Anbau von Soja erst mit der steigenden globalen Nachfrage Anfang des 19. Jahrhunderts. In der Mandschurei, dem landwirtschaftlichen Grenzland, nahm die Anbaufläche bis 1912 um das Zehnfache zu. Soja wurde vor dem Hintergrund des globalen Kapitalismus zu einem begehrten cash crop. Nachdem Japan seinen imperialen Einfluss auf die Mandschurei ausdehnte, wurde Soja für den Export angebaut. Sojakuchen wurde als Düngemittel für die Reisfelder nach Japan verschifft, das Öl blieb in China. Lander zeigte, wie sich die Verwendung und der Anbau von Soja in China gewandelt haben. Heutzutage ist China einer der weltweit führenden Importeure von Soja, das primär als Futtermittel für die anschwellende heimische Fleischindustrie dient. Soja ist nun der Katalysator für den sozialen Aufstieg der chinesischen Mittelschicht.
In der Podiumsdiskussion ging es um die (nachhaltige) Zukunft von Soja. Die Diskutant:nnen waren Ursula Bittner (Greenpeace Österreich), Matthias Krön (Donau Soja, Österreich), Magdalena Puchberger (Volkskundemuseum Wien), Johann Vollmann (Universität für Bodenkultur, Wien) und Marlene Tasser (Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, Wien).

Den Diskussionsimpuls lieferte eine von FRANZISKUS FORSTER im Projekt „Universitäten und Nachhaltige Entwicklungsziele“ (UniNEtZ) ausgearbeitete Option zur nachhaltigen Umgestaltung der transnationalen Warenkette von Futtermitteln, Mastvieh und Fleisch in Österreich. Im Zentrum der Diskussion stand die ambivalente Rolle von Soja als Eckpfeiler der Massentierhaltung und als pflanzliche Alternative bei einer fleischlosen Ernährung. Krön, Bittner und Vollmann setzten sich in ihren Initialvorträgen für eine allgemeine Reduktion des Fleischkonsums und einen Umstieg auf pflanzenbasiertes Protein ein. Dies sei der effektivste Weg zu einem nachhaltigeren Ernährungssystem. In den Fokus geriet auch die Rolle des Staates, der gerade in Hinsicht auf Vermarktung und Subventionen die Fleischindustrie weiterhin bevorzugt behandelt. Insbesondere Krön wünschte sich die Schaffung gleichberechtigter Rahmenbedingungen, um heimische Sojaprodukte konkurrenzfähiger zu machen. Tasser argumentierte daraufhin, dass nicht nur der Staat in die Verantwortung gezogen werden müsse, sondern auch die Verbraucher:innen. Soja sei in Österreich bereits eine Erfolgsstory; mit weniger GMO-Importen und einer Ausweitung des heimischen Bioanbaus scheine das Land auf dem richtigen Weg zu sein. Diese Entwicklung könne allerdings, so andere Diskutant:innen, nur mit Unterstützung des Staates erreicht werden, da GMO-Soja ausschließlich in der Massentierhaltung zum Einsatz kommt. Insgesamt waren sich die Diskutant:innen einig, dass Soja an sich nicht das Problem ist, sondern nur, in welcher Form die Pflanze derzeit genutzt wird. Die Verfütterung von Soja zum Zweck der Fleischproduktion ist nicht nachhaltig und vor allem ineffektiv. Das Potential der Pflanze wird nur beim direkten menschlichen Konsum komplett ausgeschöpft, wodurch schlussendlich auch ein nachhaltiges Ernährungssystem möglich sei. Nach einigen Fragen aus dem Publikum endete die Diskussion mit einem positiven Ausblick auf die Zukunft von Soja.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Soy’s Global Emergence

Volker Hahn (Universität Hohenheim): From a Wild Plant to Global Importance: Soybeans from a Plant-Breeding Perspective
Ines Prodöhl (Universität Bergen): Commodifying Asian Soy in Europe: Technological Change, Imperialism, and Transnational Networks in the Early 20th Century

Maximilian Martsch (Institut für die Geschichte des ländlichen Raumes, St. Pölten): The Miraculous Stranger. Early Research, Utilization, and Marketization of Soy in Austria, 1870s-1920s

Panel 2: Soy’s Expanding Web

Matthew Roth (Andrea Mitchell Center for the Study of Democracy, Philadelphia, PA): Meat, Meal, and the USA’s Place in the Global Soy Web

Richa Kumar (Institute of Technology, Delhi): From Self-Reliance to Deepening Distress: The Ambivalence of the Yellow Revolution in India

Ernst Langthaler (Johannes Kepler Universität, Linz): Great Accelerations: Soy and its Global Trade Network since the 1950s

Panel 3: Towards the „Soyacene“

Claiton Marcio da Silva (Universidade Federal da Fronteira Sul, Chapecó): The Brazilian Tropical Bonanza of Soybean Farming during the Great Acceleration

Matilda Baraibar Norberg (Universität Stockholm): Argentina, Paraguay, and Uruguay in the Global Soy Web: Transnational Forces, National Regulatory Frameworks, and Historical Legacies of the Contemporary “Soy Boom”

Brian Lander (Brown University, Providence, RI): A History of Soy in China: From Weedy Bean to Global Commodity

Conclusions: Soy’s (Un-)Sustainable Future

Franziskus Forster (UniNEtZ): Sustainable Soy – an Option for Austria?

Roundtable discussion: Ursula Bittner (Greenpeace, Österreich), Matthias Krön (Donau Soja, Österreich), Magdalena Puchberger (Volkskundemuseum Wien, Österreich), Johann Vollmann (Universität für Bodenkultur Wien, Österreich) und Marlene Tasser (Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus)